
Westportal der Liebfrauen-Basilika
DAS WESTPORTAL IM LAUFE DER ZEIT
Mit ihrer nahezu 800-jährigen Historie ist die Trierer Liebfrauenkirche für alle Epochen der Architektur- und Kunstgeschichte von
überragender Bedeutung. Ihre singuläre Stellung ist seit Jahrhunderten unbestritten. 1986 wurde sie in die Liste des UNESCOWelterbes
aufgenommen.
Neben der Marburger Elisabethkirche handelt es sich um einen der ersten gotischen Sakralbauten in Deutschland und sie ist
zudem einer der wenigen europäischen Zentralbauten im hochgotischen Stil.
Als sogenannte Domannexkirche war sie durch zwei Portale mit der Hohen Domkirche St. Peter vereint. Napoleon trennte Dom
und Liebfrauen, so dass um 1800 die Liebfrauenkirche eine Pfarrkirche wurde. Seitdem ist das Westportal der Haupteingang,
was es mit kurzen Unterbrechungen bis heute ist. Die Großskulpturen sind in ihrer ursprünglichen Anordnung und
Zusammensetzung seit circa 200 Jahren strittig, das dringend zur Restaurierung anstehende Tympanon und die Archivolten
jedoch nicht. Neben der Bestandssicherung kann die Restaurierung auch klären helfen, welche Teile davon Original und welche
spätere Ergänzungen sind. Intensive Archivstudien der umfangreichen Schrift- und Bildquellen sind vorausgegangen und
können maßgeblich zur Rekonstruktion der historischen Abläufe beitragen.
Wegen der Restaurierung mussten sechs große Skulpturen herausgenommen und gelagert werden. Darunter sind, wie in vielen
Kirchen, die allegorischen Figuren von Ecclesia (Christentum) und Synagoge (Judentum) in Frauengestalt. Und zwar in der seit
dem Mittelalter bestehenden Gegenüberstellung einer triumphierenden Ecclesia und einer gescheiterten und deshalb blind
dargestellten Synagoge.
Durch solche und ähnliche Darstellungen wurden Juden von Christen über Jahrhunderte auf schlimmste Weise herabgewürdigt.
Die Pfarrei Liebfrauen nimmt auch die Restaurierung zum Anlass, sich mit dem beschämenden Erbe dieser beiden Figuren
auseinanderzusetzen, das Thema in den öffentlichen Diskurs einzuführen und einen zeitgemäßen Umgang anzustreben.
Auftraggeber: Katholische Kirchengemeinde Liebfrauen Trier
Restaurierung: Dr. Dr. Thomas Lutgen, Dipl. Restaurator (FH)
Kunstwissenschaftliche Fachberatung: Univ.-Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke

1243 Fertigstellung
Von Seiten des Domkapitels bestand im 13. Jahrhundert der Wunsch, neben dem auf das Frühchristentum zurückgehenden Dom einen modernen ‚Anbau‘ zu errichten und diese neue Marienkirche durch architektonische Bezüge mit dem altehrwürdigen Dom zu verbinden. Rechtlich wie liturgisch bildeten beide Gotteshäuser sowieso eine Einheit. Der Neubau wurde sicherlich von französischen Baumeistern geplant und unter Beanspruchung von dortigen Handwerkern ausgeführt. Das damalige Erzbistum Trier war wesentlich größer als heute und reichte nach Frankreich hinein.
Dom und Liebfrauen bildeten den Mittelpunkt der Domimmunität. Der Verlauf der Ringmauer bzw. Randbebauung, die die Domfreiheit als eigenen Rechtsbezirk umschloss und von der Stadtkommune abgrenzte, zeichnet sich bis heute im Straßenverlauf der Trierer Innenstadt ab.

1794 – Napoleons Rätsel
Napoleons Revolutionstruppen zerstörten bei ihrer Besetzung von Trier – wie zuvor in Frankreich – religiöse Kunstwerke, vor allem an und in Kirchen. So auch im August 1794 Großskulpturen am Westportal. Damit entstand ein bis heute ungelöstes Rätsel: Wie war die ursprüngliche, seit dem Mittelalter existierende Aufstellung der vermutlich 10 Großskulpturen gewesen? Im Laufe der letzten 200 Jahre haben sich viele Generationen an Rekonstruktionsversuchen beteiligt. Die Skulpturenanzahl beträgt heute 14, davon sind drei von Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Die übrigen 11 (eine wohl anfänglich nicht zugehörig) sind Kopien nach mittelalterlichen Originalen, die sich in Museen in Berlin und Trier befinden.

1900 – Historimus
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis etwa nach dem Ersten Weltkrieg war geprägt durch großen Veränderungswillen bei historischen Bauten. So wurde viel an Originalsubstanz vernichtet bzw. Teile herausgenommen und in alle Winde verstreut. Bei der Liebfrauenkirche war davon die mittelalterliche Steinoberfläche im Inneren ebenso betroffen wie die originale Glasmalerei oder Ausstattungsstücke aus dem Mittelalter, der Renaissance und dem Barock. Alles wurde radikal dem Geschmack des Historismus untergeordnet und dadurch eine weitgehend neue Kirchenausstattung geschaffen. Die Denkmalpflege – wie wir sie heute in der Regel mit studierten KunsthistorikerInnen kennen – steckte in den Kinderschuhen und konnte diesem Gestaltungswillen nichts entgegensetzen: nämlich das Historische zu bewahren und verantwortungsbewusst der Gegenwart zu öffnen.

1920 – Markttreiben
Der Platz vor dem Westportal von Liebfrauen hat im Laufe der Jahrhunderte in seiner Größe und Funktion variiert. Bis um 1800 war der Hauptzugang zur Kirche das Nordportal. Denn durch das sogenannten Paradies gelangte man vom Dom aus in die Domannexkirche. Das Westportal blieb weitgehend geschlossen und war sowieso nur durch eine schmale Gasse erreichbar. Davor floss der Weberbach Richtung Porta Nigra. Gegenüber der Westfassade lagen einige Kuriengebäude, also Wohnsitze des Domherren. Der prachtvollste von ihnen war das barocke Palais Kesselstatt. Mit der Aufhebung der Domimmunität und der Umwandlung von Liebfrauen in eine Pfarrkirche veränderte sich die Urbanistik: Der Weberbach wurde kanalisiert, die Gasse wurde zu einer Straße und später platzähnlich erweitert – das städtische Leben breitete sich vom Hauptmarkt her hierhin aus.

1944 – Zweiter Weltkrieg
Im August 1916 wurden alle noch verbliebenen großen Skulpturen des Mittelalters wegen massiver Umweltschäden abgenommen und in Museen überführt. An ihrer Stelle traten 1921 Kopien. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Westportal zwar gegen Luftangriffe geschützt, doch vergeblich. Mit der gesamten Kirche wurde auch der Haupteingang im Dezember 1944 mehrmals schwer beschädigt. Der komplette Skulpturenschmuck (von 1921) im Gewände und über dem Portal war vernichtet: 14 fast lebensgroße Steinkopien ein Trümmerhaufen. Schäden erlitten ebenfalls das mittelalterliche Tympanon und die Archivolten sowie der architektonische Aufbau des Westportals – die Spuren des Krieges sind bis heute sichtbar und mahnen zum Frieden.

1951 – Wiederherstellung
Sehr früh konnte nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau begonnen werden. Die Einweihung erfolgte sechs Jahre später am 14. August 1951. Dank der französischen Militärverwaltung wurde die Wiederherstellung bevorzugt vorangetrieben. Dies als Ausdruck einer beginnenden deutsch-französischen Freundschaft, die auch in der Beteiligung eines französischen Glaskünstlers Ausdruck fand. Denn alle historistischen Glasfenster wurden 1944 zerstört und mussten durch neue ersetzt werden. Neben Rekonstruktionen bzw. Neuschöpfungen im ‚Geiste‘ des Mittelalters öffnete sich Liebfrauen damit auch der Moderne, ebenso mit der Gestaltung einer Altarinsel im Zentrum der Kirche. In dem so geschaffenen neuen liturgischen Raum vereinen sich die Gläubigen um den Mittelpunkt. Die Altarinsel wie die Glasfenster waren der zeitgenössischen Kunst verpflichtet.

1992 – Skulpturenaufstellung
Der architektonische Aufbau des Portals konnte beim kriegsbedingten Wiederaufbau unter Verwendung – wie bereits zuvor im Historismus – neuer Bauteile wiederhergestellt werden. In den nachfolgenden Jahrzehnte blieb die Westfassade jedoch ohne die großen Skulpturen, mit deren Aufstellung man erst in den 1970er Jahren in eine Planungsphase trat. 1992 endlich waren der Abguss von den Originalen bzw. die Anfertigung von drei Neuschöpfungen abgeschlossen. Da nach wie vor ein historischer Beleg für den ursprünglichen Zustand fehlt, ist auch diese Kombination ein Versuch gewesen, genauer der 9. Versuch innerhalb der letzten 200 Jahre. Und auch dieser ist strittig – bis heute. Napoleons Rätsel bleibt nach wie vor eine Herausforderung. Und wie schon zuvor konnte auch 1992 ein befriedigender ästhetischer Gesamteindruck nicht hergestellt werden.

2025 – Restaurierung
Anlass der Maßnahme ist, dass sich der Bauschmuck des Westportals in einem gefährdeten Erhaltungszustand befindet. Sowohl der originale Bestand wie auch alle späteren Ergänzungen sind stark geschädigt. Zudem belegt die Voruntersuchung, dass es eine mittelalterliche Farbfassung gegeben hat. Vermutlich wurde diese, wenn sie nicht schon zuvor durch Witterungseinflüsse verloren ging, im Historismus entfernt, um eine damals geschätzte Steinsichtigkeit zu erhalten. Eventuell lassen sich, gestützt durch Farbreste an entlegenen Stellen, Überlegungen zu einer ursprünglichen Mehrfarbigkeit formulieren, die uns dem mittelalterlichen Erscheinungsbild des Westportals näher bringen. Eine farbige Rekonstruktion bleibt jedoch ausgeschlossen. Hauptziel der aktuellen Restaurierung ist, das Überlieferte der Zukunft zu erhalten und damit ein Welterbe zu schützen.
PROJEKTPHASE II
Im Westportal der Liebfrauen-Basilika standen über Jahre, wie in vielen gotischen Kirchen, die allegorischen Figuren von Ecclesia (Kirche) und Synagoge (Judentum) in der typisch mittelalterlichen Gegenüberstellung einer triumphierenden und einer gescheiterten und blinden Frauengestalt.
Durch solche und ähnliche Darstellungen wurden Juden von Christen über Jahrhunderte auf schmähliche Weise herabgewürdigt.
Auch wenn die katholische Kirche die Juden heute als ihre „älteren Geschwister“ (Papst Johannes Paul II.) ehrt, gehören die Pogrome, die es auch gegen jüdische Mitbürger in der Vergangenheit – auch in Trier – gab, ebenso zur leidvollen gemeinsamen Geschichte, wie der millionenfache Mord an europäischen Juden durch die Nationalsozialisten – auch an Trierer Juden. Bis auf den heutigen Tag sind Polizeiwachen vor Synagogen – auch in Trier – ein trauriger Hinweis auf Antisemitismus in Teilen unserer Gesellschaft.
Die Generalsanierung des Westportals der Liebfrauen-Basilika nimmt die Pfarrei Liebfrauen zum Anlass, sich mit dem beschämenden Erbe dieser beiden Figuren aus unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen. Ziel ist es, das Bewusstsein und die Verantwortung für die gemeinsame Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Juden und Christen zu schärfen. Dazu gab es 2023/2024 eine siebenfältige öffentliche Vortragsreihe, die hier dokumentiert ist: www.liebfrauen-trier.de/darueber-muessen-wir-reden
Nach Abschluss der Sanierung wird in einem zweiten Projektschritt die Frage der ursprünglichen Standorte der Figuren zu klären sein. Erst dann können die Gremien der Pfarrei in Abstimmung mit dem Denkmalschutz und unter Würdigung der Einsichten aus der Vortragsreihe entscheiden, wo Ecclesia und Synagoge künftig ihren Platz finden.


